Bakterien erwarten das Unerwartete

Bakterien: neue Anpassungsstrategie an rasch ändernde Umweltbedingungen
Wissenschaftler beobachten die Entstehung einer neuen Anpassungsstrategie an sich rasch ändernde Umweltbedingungen

Wie al­le Le­be­we­sen si­chern Bak­te­ri­en das Über­le­ben ih­rer Art, in­dem sie sich ge­ne­tisch an ih­re Um­welt an­pas­sen. Än­dern sich die Um­welt­be­din­gun­gen zu schnell, kann dies zum Aus­ster­ben ei­ner Art füh­ren. Ei­ne Stra­te­gie, sol­che Her­aus­for­de­run­gen zu meis­tern, ist die Er­zeu­gung ver­schie­de­ner Nach­kom­men, die je­weils un­ter un­ter­schied­li­chen Um­welt­be­din­gun­gen über­le­ben kön­nen. Ein Teil des Nach­wuch­ses hat dann zwar ei­ne ge­rin­ge­re Über­le­bens­chan­ce, das Über­le­ben der Art als Gan­zes ist aber ge­währ­leis­tet. Wis­sen­schaft­ler ha­ben nun erst­mals in ei­nem Ex­pe­ri­ment mit der Bak­te­ri­en­art Pseu­do­mo­nas fluo­re­scens die Evo­lu­ti­on ei­ner sol­chen Stra­te­gie un­ter La­bor­be­din­gun­gen be­ob­ach­tet: Ein Bak­te­ri­enstamm, der rasch wech­seln­den Um­welt­be­din­gun­gen aus­ge­setzt wor­den war, ent­wi­ckel­te die Fä­hig­keit, auch oh­ne zu­sätz­li­che Mu­ta­tio­nen un­ter­schied­li­che Nach­kom­men her­vor­zu­brin­gen. Die­se neue Über­le­bens­stra­te­gie si­cher­te den Er­halt des Bak­te­ri­enstam­mes. Die Er­geb­nis­se wur­den jetzt in NA­TURE ver­öf­f­ent­licht.
Sprich­wör­ter wie „nicht al­le Ei­er in ei­nen Korb le­gen“ oder „nicht al­les auf ei­ne Kar­te set­zen“ ra­ten, Ri­si­ken zu ver­tei­len und so zu ver­rin­gern. Auch in der Bio­lo­gie (z.b. bei Bak­te­ri­en) sind sol­che Stra­te­gi­en schon län­ger be­kannt und wer­den als „bet-​hed­ging“ be­zeich­net. Im Evo­lu­ti­ons­ge­sche­hen stellt bet-​hed­ging nicht die üb­li­che An­pas­sung an die Um­ge­bung dar, bei der sich die Trä­ger vor­teil­haf­ter Mu­ta­tio­nen ge­gen an­de­re In­di­vi­du­en durch­set­zen, die die­se Mu­ta­ti­on nicht auf­wei­sen. Viel­mehr han­delt es sich um ei­ne Stra­te­gie, bei der von ei­ner Ge­ne­ra­ti­on Nach­kom­men pro­du­ziert wer­den, die zwar ge­ne­tisch iden­tisch sind, sich aber in ih­rer An­pas­sung an die je­wei­li­ge Um­welt un­ter­schei­den: Ei­ni­ge Bak­te­ri­en­nach­kom­men sind an die be­ste­hen­den Um­welt­be­din­gun­gen op­ti­mal an­ge­passt, wäh­rend sich an­de­re Back­te­ri­en­nach­kom­men un­ter völ­lig an­de­ren Be­din­gun­gen am wohls­ten füh­len. Bei ei­ner schnel­len und dra­ma­ti­schen Än­de­rung der Um­ge­bung kön­nen sie so plötz­lich im Vor­teil sein und da­durch das Über­le­ben der Art si­chern. Der evo­lu­tio­nä­re Vor­teil die­ser bet-​hed­ging-​Stra­te­gie ist da­bei um­so grö­ßer, je dras­ti­scher und un­vor­her­seh­ba­rer sich die Um­welt­be­din­gun­gen än­dern. Bak­te­ri­el­le Krank­heits­er­re­ger be­sit­zen bei­spiels­wei­se sol­che Me­cha­nis­men zur Ri­si­ko­streu­ung: In­dem ge­ne­tisch iden­ti­sche Zel­len un­ter­schied­li­che Ober­flä­chen aus­bil­den, ent­kom­men ei­ni­ge der Er­re­ger dem mensch­li­chen Im­mun­sys­tem. Wei­te­re Bei­spie­le für bet-​hed­ging sind aus dem Tier-​ und Pflan­zen­reich be­kannt.

Die Alex­an­der von Hum­boldt-​Stif­tung för­der­te Chris­ti­an Kost vom Max-​Planck-​In­sti­tut für che­mi­sche Öko­lo­gie in Je­na der am „New Ze­a­land In­sti­tu­te for Ad­van­ced Stu­dy“ in Auck­land (Neu­see­land) Bak­te­ri­en der Art Pseu­do­mo­nas fluo­re­scens un­ter­such­te. Die­se Bak­te­ri­en ha­ben mit 52 Mi­nu­ten ei­ne sehr kur­zen Ge­ne­ra­ti­ons­zeit, und sind des­halb be­son­ders ge­eig­net, die Be­ob­ach­tung von Evo­lu­ti­on im Rea­genz­glas zu er­mög­li­chen. Au­ßer­dem kön­nen Mu­ta­tio­nen in der DNA auf­grund ih­res re­la­tiv klei­nen Ge­noms ver­gleichs­wei­se leicht iden­ti­fi­ziert wer­den.
Experiment: Aus vorteilhaften Mutationen werden Nachteile

Für ih­re Ex­pe­ri­men­te setz­ten die For­scher Pseu­do­mo­nas-​Stäm­me ab­wech­selnd un­ge­schüt­tel­tem oder ge­schüt­tel­tem Nähr­me­di­um aus, um so Va­ri­an­ten zu er­zeu­gen, die auf­grund vor­teil­haf­ter Mu­ta­tio­nen ent­we­der „ge­schüt­telt“ oder „un­ge­schüt­telt“ ei­nen Vor­teil hat­ten. In bei­den Um­wel­ten muss­te sich al­so je­de durch Mu­ta­ti­on neu ent­stan­de­ne Bak­te­ri­en­va­ri­an­te ge­gen al­le un­mu­tier­ten Ver­tre­ter des Aus­gangs­stam­mes durch­set­zen. Un­ter der An­nah­me, dass sich ei­ne Va­ri­an­te, die sich äu­ßer­lich von ih­rem Vor­gän­ger un­ter­schied (zum Bei­spiel glat­te vs. raue Ober­flä­che), auch ge­gen die­sen durch­ge­setzt hat­te, wur­de der je­weils häu­figs­te Ver­tre­ter die­ser neu­en Va­ri­an­ten aus­ge­wählt und der je­weils an­de­ren „Um­welt“ aus­ge­setzt. Ei­ne für das ge­schüt­tel­te Nähr­me­di­um vor­teil­haf­te Mu­ta­ti­on wur­de da­durch zum Nach­teil im un­ge­schüt­tel­ten Me­di­um und um­ge­kehrt. Des­halb muss­ten neue Mu­ta­tio­nen und da­mit neue Va­ri­an­ten ent­ste­hen, die die­sen Nach­teil wie­der kom­pen­sier­ten. Kaum hat­ten sich die Bak­te­ri­en al­so an ei­ne Um­ge­bung an­ge­passt, wur­den sie ge­zwun­gen, sich er­neut um­zu­stel­len.
Bet-hedging: ein Genotyp, mehrere Varianten
Durch den ständigen und regelmäßigen Wechsel zwischen geschütteltem und ungeschütteltem Medium entstanden nach kurzer Zeit Typen mit gleicher genetischer Ausstattung (Genotypen), die immer zwei verschiedene Varianten erzeugten. Einmal entstanden, war das also die ultimative Überlebensstrategie für diese bet-hedging-Pseudomonaden, denn alle anderen Genotypen, die ihre Variation immer nur durch neue Mutationen realisieren konnten, hatten keine Chance, sich gegen die bet-hedging-Varianten durchzusetzen.

Eine Genanalyse ergab, dass beide Varianten auf genetischer Ebene absolut identisch waren. Des Weiteren unterschied sich der bet-hedging-Genotyp durch neun Mutationen vom Ursprungsstamm, mit dem das Experiment gestartet worden war. Dabei war ausschließlich die zuletzt aufgetretene Mutation für das bet-hedging verantwortlich. „Unsere Experimente belegen, dass Risikostreuung eine sehr erfolgreiche Anpassung an sich rasch ändernde Umweltbedingungen ist. Denn wenn ein und derselbe Genotyp gleichzeitig mehrere Varianten hervorbringt, kann er schneller auf starke Änderungen der Lebensbedingungen reagieren“, sagt Christian Kost. Und Paul Rainey, Leiter der Studie an der Massey University Auckland, ergänzt: „Bet-hedging war möglicherweise eine der ersten Strategien von Organismen, um sich an immer wieder wandelnde Umweltbedingungen auf der Erde anzupassen. Dies lässt sich aus der Leichtigkeit schließen, mit der die Strategie in unseren Experimenten entstand.“

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